Eine brutale Stimmung

Eigelb am Anzug “Eine brutale Stimmung” VON VERA GASEROW – Frankfurter Rundschau, 29.05.07 Am Tag danach packt kein Uniformierter mehr unsanft am Arm. Es kleckert auch kein Eigelb mehr am Anzug herunter. Auch die klebrigen Tomaten, geschleudert aus zielsicherer Entfernung, sind ein Stück von gestern. Am Pfingstmontag ist wieder so etwas wie zivile Entspannung eingekehrt in die Auslandsmission des Bundestagsabgeordneten Volker Beck. Oder sagen wir: politische Nachbereitung frei nach russischer Art. Und die bedeutet für den Grünen-Parlamentarier warten. Warten auf Moskauer Gerichtsfluren, um als Zeuge – und zugleich Ankläger – die turbulenten Ereignisse zu schildern, die tags zuvor auch deutsche Fernsehkameras vor dem Moskauer Bürgermeisteramt eingefangen hatten. Auf jede Provokation verzichtet Da war am Pfingstsonntag – für die russischen Behörden keineswegs überraschend – eine gerade mal vier Autos starke Delegation vorgefahren, um Bürgermeister Juri Luschkow eine Petition zu überreichen. Mit der wollten zwei Europaparlamentarier und zwei deutsche und italienische Abgeordneten-Kollegen gemeinsam mit russischen Mitstreitern die Moskauer Behörden zur Genehmigung einer geplanten Homosexuellen- Parade auffordern. Was dann geschah, wurde für den Grünen aus Deutschland zum Déjà-vue des schmerzhaften Geschehens vor genau einem Jahr. Default Banner Werbung Damals kam Beck von seiner Unterstützungsmission für die Rechte von russischen Schwulen und Lesben mit blauem Auge und zerbrochener Brille zurück. Dieses Mal, so schildert er der FR, hätte der internationale Protest deshalb bewusst auf alles verzichtet, was nach Konfrontation mit russischer Miliz und rechtsradikalen Schwulenhassern hätte riechen können “Da war nichts, was nur am Rande an eine Manifestation oder Demonstration hätte erinnern können. Wir haben damit gerechnet, dass die Staatsmacht das als Geste der Deeskalation anerkennt.” Verrechnet. Zumindest auffallen sollte der Protest gegen den rabiaten Umgang der russischen Staatsmacht mit Schwulen- und Demonstrationsrechten durchaus. Kaum war die Politiker-Delegation am Sonntag ihren Autos entstiegen, sah sie sich umringt und bedrängt von Milizionären. Es folgten Wortwechsel und Handgemenge. Hin und her gezerrt und geschubst hätten ihn die Uniformierten, berichtet Beck . Und just als die Milizionäre ihn kurz losließen aus ihrem Griff, seien die Eier und Tomaten von Gegendemonstranten geflogen. “Fast noch brutaler als im letzten Jahr” sei das Klima gewesen, urteilt Beck. Mit dem Ruf “Tod den Schwulen” hatten Nationalisten und Orthodoxe die internationale Protestdelegation empfangen. Russische Streiter für die bisher verbotene Schwulen-Parade wurden bespuckt und geschlagen. Arrest zum “eigenem Schutz” Für den deutschenGrünen ging die Protestaktion dieses Jahr noch vergleichsweise glimpflich ab. Er landete nach unsanftem Abtransport in der russischen “VIP-Version” des Arrests. Nach einstündiger Haft – nach russischer Lesart zu seinem eigenen Schutz – bekam er Pass und Freiheit zurück. Für Nikolai Alexejew, den Aktivisten des russischen Schwulenverbands und zwei Mitglieder der Radikalen Partei Russlands endete die versuchte Übergabe der Petition zunächst hinter Gittern und am Pfingstmontag vor Gericht. Sie seien, so der Vorwurf, auf der Straße marschiert und hätten Widerstand gegen die Auflage geleistet, nur auf dem Bürgersteig zu gehen. Nach kurzer Verhandlung wurden sie Montagnachmittag vorerst freigelassen. Anfang Juni droht ihnen ein Prozess. “Wenn die drei verurteilt werden, dann geht es den russischen Behörden nicht so sehr um Schwule, sondern um einen demonstrativen Akt der Staatsmacht. Die russische Gesellschaft soll im Vorfeld der Entscheidung über die Präsidentschaft ruhig gestellt werden”, meint Beck. Zuhause in Berlin fordert die Grünen-Spitze Satisfaktion für das russische Vorgehen gegen ihren Abgeordneten und die europäischen Parlamentskollegen. Kanzlerin und Außenminister höchstselbst müssten Staatschef Putin auf dem G-8 Gipfel auf den “inakzeptablen Vorfall” und “gravierenden internationalen Zwischenfall” ansprechen. Lautstarke Vorwürfe, die die Berliner Diplomatie auf pflichtgemäße Tonlage herunterdimmt. Die Botschaft in Moskau habe sich nach der Festnahme des Abgeordneten mit den russischen Behörden in Verbindung gesetzt. Wenig später sei Beck ja auch frei gekommen, so die sparsame Auskunft des Auswärtigen Amtes.